Die geheimnisvollen Men in Red

Opernhineingeher und -glotzer streiten sich gerne, heftig und ausdauernd über das Thema "Regietheater". Was darunter fällt, darüber kann man bei der Gelegenheit auch gern lang, heftig und ausdauernd streiten, aber ein klarer Fall von Regietheater ist jedenfalls jeder Versuch, eine barocke oder klassische Oper in die Jetztzeit zu verlegen. Nun gibt es aber auch unter Regietheatergegnern die eine oder andere heilige Kuh, die eigentlich alle mögen oder jedenfalls nicht mit der sonst üblichen Häme kritisieren. Eine dieser heiligen Kühe ist Mr. Sellars Inszenierung des Oratoriums "Theodora" von Händel. Leitung William Christie, Glyndebourne 1996. Theodora ist, um das klarzustellen, keine Oper, sondern ein Oratorium, also gibt es da normal nichts zu inszenieren, aber Sellars tat's und alle finden es gut. Ich auch.



Wunderbare Musik. Erstklassige Sänger-Darsteller. Die Übertragung in die Gegenwart für heutige Augen optisch etwas altbacken, aber so sahen die Neunziger halt aus. Bei allem Verständnis indessen, dass Sellars die altrömische Christenverfolgung als neuzeitlichen Gesinnungsimperialismus inszeniert und seine Protagonisten sowohl kreuzigen als auch mit Giftspritze hinrichten lässt - eines erschließt sich mir nicht. Ich zeige es gleich.

Hier Soldat 1, Prätorianer oder Liktor nannte man das wohl. Laut Rollenliste mit Namen Septimius.



Soldat 2, mit Namen Didymus (das ist der, der hingerichtet wird).



Ich zeig's auch gern noch mal genauer, für alle, die keine zwei Brillen übereinander tragen:



und



Da die großartigen Sänger Richard Croft (Tenor) und David Daniels (Countertenor) durchaus genug Festplattenkapazität aufbringen können, sich einunddrölfzig hochkomplizierte Da-capo-Arien samt verwickeltster Koloraturen und verbindender Rezitative zu merken, dürfte es ihnen ein leichtes sein, auch zwei einfache Rollennamen zu behalten. Didymus und Septimius. Das kann doch nicht zu viel verlangt sein. Warum stehen auf den Kostümen also nicht die Rollennamen, sondern die Namen der Sänger? Die einzige Erklärung, die ich derzeit habe: die beiden sind im Nebenberuf Tankwart und tragen auf der Bühne ihre Berufskleidung. Wie schön, dass sie zwischen Scheibenwischen und Ölstandmessen noch Zeit gefunden haben, so phantastisch für uns zu singen. Dass die Zeit nicht reichte, sich aus dem Rotmann zu pellen und die Prätorianerkluft anzuziehen, sei ihnen verziehen.

Wäre ich 1996 in Glyndebourne gewesen, ich hätte nicht versäumt, nach Schluss der Vorstellung noch rasch die umliegenden Tankstellen abzuklappern. Vielleicht sind sie ja danach gleich wieder an ihre normale Arbeit gegangen. Ich wäre auch für alle Fälle gleich mit den Tausend-Liter-Highcubes vorgefahren und hätte für den Rest des Jahrtausends aufgetankt. Vielleicht hätten sie mir, während der Sprit in die Tanks gluckert, noch was vorgesungen. Hach ja.

Ich setze das mal in die Vitrine für gewagte Thesen, bis mir was Besseres einfällt.
Ich empfehle diese DVD wärmstens allen, die Händel mögen!
Ich liebe Regietheater!

Noch mehr auf die Ohren

Der Ohrenschützer liest dankenswerterweise wieder was von mir: Mein einsames Kätzchen!

Hummeln und Spinnen

Und nachlesen kann man es hier, wer möchte:

Hummeln und Spinnen: der Text

Danke, lieber Ohrenschützer! Wundervoll wie immer!

Und weil wir gerade die Ohren weit offen haben, noch ein Fundstück: Nachdem ich das nach links und rechts verlinkt habe, bei Facebook, im Blauen Salon, im Klassikforum und was weiß ich wo noch, zeige ich es auch hier.

Aber nicht vergessen, auch Hummeln und Spinnen zu hören!!



Tempos bereitlegen und sich bezaubern lassen!

Sind Tenöre wirklich doof?

Ja, es geht so das Gerücht ...

Aus einem Interview mit Rolando Villazòn vom November 2010:

Wenn Sie nach Frankreich gehen, werden Sie feststellen, dass die Leute dort ein ganz anderes Bild von mir haben als in Deutschland. Ich glaube, es hängt mit der Sprache zusammen. Da ich nicht so gut Deutsch sprechen kann, habe ich mich dafür entschieden, den Clown den Bus fahren zu lassen. So fühle ich mich sicherer. Es ist eine Art und Weise, mich selbst, meine Gefühle zu beschützen. Bevor ich das Publikum langweile und wie ein Idiot wirke, weil ich meine Gedanken nicht so vermitteln kann, wie ich es will, führe ich meine Blödheit lieber vor. Aber einen solchen Transfer macht jeder, der auf der Bühne steht. Jede Reaktion, jeder Angriff, jede Bewunderung, die wir erhalten, zielt nicht auf unsere Person. Für das Publikum, für die Gesellschaft, ist es wichtig, dass es seine Gefühle loswerden werden kann. Gegenüber der Figur, nicht der Person.

Ich halte es mal fest.
(Quelle hier: sedddeutsche.de)

Der Ohrenschützer liest

Ich darf mal wieder auf den Ohrenschützer-Podcast verweisen. Dankenswerterweise hat der Ohrenschützer meinen Orpheus gelesen, und zwar so einfühlsam und kreativ, wie wir es von ihm gewohnt sind.
Ich empfehle: reinhören und staunen!
Der Ohrenschützer-Podcast
Vielen Dank, verehrter Ohrenschützer! Immer wieder gerne!

Mitgeflogen

(unter Verwendung einer Szene von Perri O'Shaughnessy - Zitate in blau)

Nach weniger als einer Stunde kam der Klempner. Sie zeigte ihm den Schlamassel in der Küche und ging zurück, um es sich wieder auf der Couch bequem zu machen. Als er fertig war, kam er herein und musterte sie von oben bis unten. „Was für eine Schande, einer so hübschen Dame eine Rechnung ausstellen zu müssen“, sagte er. Da das Geräusch der Waschmaschine abrupt abgebrochen war, löste die Stille die gemeinsame Erkenntnis aus, dass niemand sonst zu Hause war.
Sie suchte nach ihrer Tasche.
„Ich habe eine neue Tülle eingesetzt“, sagte er.
Sie hatte Mühe, das Scheckbuch herauszubekommen.
„Als ich das letzte Mal hier war, mussten Sie freinehmen, um mich reinzulassen. Das weiß ich noch.“
„Ich habe Sie noch nie gesehen. Ich habe Sie noch nirgends reingelassen“, gab sie zurück und grub in der Tasche nach einem Kugelschreiber.
„Aber klar doch. Ich habe Ihnen erzählt, dass ich das Geschäft von meinem Vater übernehme.“
Sie versuchte vergebens, die Kugelschreiberspitze herauszuknipsen, die immer wieder zurückrutschte.
„Und dass ich dieses Jahr meinen Pilotenschein mache.“
Sie warf den kaputten Kugelschreiber auf den Tisch, ging zur Kommode und riss die Schubladen auf. In der linken lag unter den Briefumschlägen eine geöffnete Blisterpackung mit zwei Kugelschreibern darin.
„Ich fliege Hängegleiter.“
Scheiß drauf, dachte sie, zupfte einen der Stifte aus der Packung und probierte ihn auf einem Briefumschlag aus. Es gab nur farblose Druckspuren. Während sie heftig weiterkritzelte, schob er sich von hinten an sie heran, bis die Haare auf ihren Armen sich berührten. So nahe an ihrem Körper erschien der seine größer.
Lauter als das Dröhnen in ihrem Blut hörte sie jemanden sagen, kalt und präzis: „So ist das also!“
Der Kugelschreiber fiel aus ihrer Hand. Ihre Finger tauchten in die Schublade, so steif, als ob sie keine Gelenke hätten. Hängegleiter.
„Und dann“, sagte er hinter ihrem Rücken, „ist Ihr Alter hereingekommen. Alles in Ordnung bei Ihnen? Seitdem?“
„Er ist Anwalt.“ Sagte das nicht alles?
So war das also.

So nahe an ihrem Körper, kritzelt sie auf den Umschlag, erschien der seine größer und umgab sie mit einem Fluidum wilder Bedrohung und sicheren Schutzes.

Sardine

Wir haben zuerst „Tat oder Wahrheit“ gespielt, dann das Werwolfspiel und gegen Mitternacht das Sardinenspiel. Ich habe mich als erste versteckt, in dem Besenschrank unter der Kellertreppe. Es dauerte keine fünf Minuten, bis der Schrank geöffnet wurde. Draußen war es dunkel. Er hatte kein Licht gemacht. Er kroch neben mich und zog die Tür von innen zu; ich sah nichts, aber ich erkannte ihn am Geruch. Es war der Fotograf. Der mit den schwarzen Haaren. Er saß so dicht neben mir, dass mich seine Locken an den Schläfen kitzelten. Die Zeit verging. Er erzählte. Ich hörte Stimmen von der Kellertreppe her, Rufen, das sich entfernte. Er erzählte mir von einer arabischen Prinzessin, die auf einer Jacht nach Monaco gekommen war, um an einer Spendengala teilzunehmen. „Eine der teuersten Jachten der Welt!“, flüsterte er. „Sie war so groß, dass sie nicht in den Hafen hineinpasste, sondern draußen am Wellenbrecher ankern musste, und sie war schlank und schön wie ein riesiger Delfin, einhundert Meter lang und fünf Stockwerke hoch ... Die Prinzessin flog jeden Morgen mit dem Helikopter vom Schiff aus an Land. Die Ladenbesitzer in Monaco ließen extra ihre Schaufenster frisch putzen, dass sie funkelten wie Kristalle, alles für die Prinzessin … Man hoffte, sie würde Unmengen Geld ausgeben. Es gab einen Sandstrand an Bord der Jacht, stell dir vor, ein Strandbad mit aufgeschütteter Düne, sie hatte die Küste auf ihr Schiff gebracht. Dort lag sie auf einem Handtuch und hielt die Füße ins Wasser … Und sie hatte ein Salzwasseraquarium mit Korallenriff einbauen lassen, das groß genug zum Tauchen war.“ Er zog die Tür fester zu, als ein Lichtstrahl von draußen die Ritzen aufleuchten ließ: ein helles Viereck. Wir hielten den Atem an, bis das Licht wieder gelöscht wurde. „Sie schnorchelte darin, verstehst du, in diesem Aquarium, sie tauchte unter Wasser und besah sich die blauen und gelben Fische, die Seeanemonen, die Korallenzweige, es war alles nur für sie gebaut worden … Bei der Wohltätigkeitsgala gewann sie den ersten Preis in der Tombola. Es war eine Reise um die Welt. Mit Linienflugzeugen. Voll Freude bedankte sie sich … sie könne es gar nicht erwarten, sie sei noch nie mit einem Linienflugzeug geflogen … Ihre Jacht hatte einen eigenem Sandstrand und eigenes Korallenriff und einen Esstisch, fünfundzwanzig Meter lang und mit Gold und Smaragden intarsiert.“ Ich griff nach seiner Hand und befühlte die glatten Ringe – einer am kleinen Finger, einer am Daumen – und die kurzen, stumpfen Fingernägel. Es war stickig in der Besenkammer. „Ich bin korallenresistent“, flüsterte ich, „ich trage nur Stahl.“

...

Der erste Herbststurm. Das Jaulen des Windes im Fallrohr (zwei Meter entfernt zu meiner Linken) erinnert mich jedes Jahr daran, dass ich einmal Hasen hatte. Die leere Stelle in der Ellbogenbeuge habe ich vergessen, aber wenn der Wind im Fallrohr sein Herbstlied wieder beginnt, fällt mein Blick darauf. Die Leere, wo etwas nicht ist.

Es ist nicht so, dass da ein Nichts wäre. Das Nichts ist in mich eingewachsen und ein Etwas. Nach der Zeit.

Lesung in Paris

... ein kleiner Ausschnitt ...



Ein zweisprachiger Notsitz.
Ist dieses "nee" nicht hübsch?
Wir hatten eine lange, intensive, inspirierende Lesung, tolle Gäste, feine Musik und eine wunderbare Umgebung (in einer Galerie mit Klangskulpturen).

Ob es für den Fisch, der kaum drei Worte Französisch spricht, eine weise Entscheidung war, in Paris zu lesen, sei dahingestellt. Es kommt wohl kaum wieder vor.

Grüße nach Frankreich!

Blubbern als Kunst!

blaue-flecken

Wort des Monats

"Es gibt in der geistigen Welt weitaus mehr Gnade, als sich der Mensch vorstellen kann."
(Meridian 2/2012)

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