Jetzt reichts.
Es ist an der Zeit, einen Preis zu vergeben, der schon lange fällig ist: die goldene Gurke für sinnlose Ermittlertode. Mit sinnlos meine ich: Der Ermittler hat nichts Böses getan, war nicht korrupt, hat sich nicht zwischen einen Bankräuber und seine Geisel geschmissen, und sein Tod bringt auch den Roman, in dem er vorkommt, nicht wirklich voran. Er stirbt einfach so – um es mit einem Ausdruck zu benennen, den ich im Blauen Salon gelesen habe: er stirbt einen platten Tod für nichts. Ich vergebe hiermit die erste Gurkenreihe!
Platz drei unserer Gurkentruppe belegt Unni Lindell, die ein Mitglied ihrer Serien-Riege anscheinend plötzlich nicht mehr leiden mochte; oder vielleicht wollte der Herr auch nicht mehr in einem ihrer Romane mitspielen. Der Ermittler Ulriksen war der Attraktivste in Lindells Bullenaufgebot. Laut Lindell sah er aus wie David Beckham, was an sich vielleicht noch nicht viel bedeutet, aber alle anderen, Isaksen, Hoibakk, Tengs und wie sie alle heißen haben nicht mal jemanden, dem sie ähnlich sehen. Will ein guter Romanautor einen Serienermittler los sein, macht er sich die Mühe und schreibt ihn mit Anstand aus dem Buch heraus. Unni Lindell, deren Bücher ich übrigens ganz gerne lese, lässt ihren Ulriksen in ihrem Krimi „Was als Spiel begann“ einfach bei der Flutkatastrophe in Südasien ertrinken. Ex und hopp. Toll. Und warum? Weil wir sonst nicht wüssten, dass der Roman 2004 spielt? Ein anderer Grund fällt mir jedenfalls nicht ein.
Platz zwei belegt ein ganz anderes Buch, denn hier wird nicht speziell eines sinnlosen Todes gestorben, sondern die Masse an Todesfällen macht die Sinnlosigkeit. Es geht um Grangés „Imperium der Wölfe“. Meine Tochter hat dieses Buch noch vor mir gelesen, weil sie im Urlaub nach Lesestoff suchte und der Grangé das einzige war, was es gab, außer Hohlbein. Irgendwann im letzten Viertel sagte sie zu mir: „Ich weiß nicht, wer diesen Fall noch aufklären soll und warum, es sind ja alle tot.“ Der Polizist Paul ist tot und sein Chef Schiffer auch (wie gern genommen bei Grangé ein dynamischer Junger und ein abgeklärter Alter, beide um ihren Lebensabend gebracht), die meisten Verdächtigen sind tot und die Hauptperson, um deren Rettung es die ganze Zeit ging, ist auch tot. Diejenige, die am Ende übrig bleibt, ist genau die Person, auf die ich nie im Leben gekommen wäre und die auch irgendwie in der Geschichte gar nichts zu sagen hat bis auf den Umstand, dass sie, Gott weiß warum, am Ende übrig bleibt. So sehr ich Grangés bizarr-bescheuerte Plots schätze: das ist des Guten zuviel. Eine goldene Gurke zweiter Klasse für ihn.
Die Obergurke aber bekommt (Trommelwirbel!) Jan Seghers, übrigens ein ganz ausgezeichneter Krimischreiber, über dessen Bücher ich mich jedes Mal freue. In „Partitur des Todes“ lässt er einen der nettesten und interessantesten Ermittler seit langem einfach hops gehen, und das noch ehe der Mann Gelegenheit hatte, sich richtig zu profilieren. Er wird als Angehöriger des LKA einer örtlichen Bullenkommission zugeteilt und zieht als solcher natürlich sofort den Unwillen der Kollegen auf sich. „Wie fühlt man sich eigentlich, wenn man von allen als Siegertyp behandelt wird?“, wird er hämisch gefragt und antwortet nach kurzer Pause leise: „Ich hab Hunger.“ Noch nie habe ich erlebt, dass ein Detektiv spritziger und vielversprechender eingeführt wurde. Ich habe mir die Hände gerieben und mich auf eine schöne lange Romanreise mit diesem Superbullen gefreut, einem „empfindsamen Riesen“, der vor dem Essen betet und bei einem auswärtigen Einsatz zuerst daran denkt, seiner Freundin ein Kettchen mitzubringen. Nix da! Lange vor Ende der Untersuchung stirbt der gute Mann, dem eine echte krimileserische Heldenverehrung entgegenzubringen ich bereit und willens war, einen völlig sinnlosen Tod. Wie meine Facebook-Freundin sehr treffend bemerkte: Da fühlt man sich um eine gute Freundschaft betrogen! Vielleicht lag genau hier das Problem des Autors: der Mann war einfach zu gut; er drohte seinem Chefermittler Marthaler in der Lesersympathie den Rang abzulaufen? Oder – was dem Tod immerhin einen Hauch von Sinn geben könnte – Seghers wollte dem Superbullen sein Geheimnis nicht nehmen; vielleicht auch deshalb nicht, weil es ihm nicht gelang, eine Biographie für ihn zu erfinden, die seine Persönlichkeit angemessen aufhellen könnte? So oder so, ich verzeihe Herrn Seghers diese Wendung erst dann, wenn in einem seiner nächsten Bücher die Identifizierung sich als Fake erweist. Falsch eingeordneter Zahnstatus vielleicht? Bis dahin darf Seghers die goldene Gurke erster Klasse behalten.
Ehe sich hier jemand ernsthaft auf den Schlips getreten fühlt, stopfe ich diesen ganzen Absatz in die Vitrine für gewagte Thesen und kündige für demnächst einen weiteren Preis an, diesmal einen musikalischen: den goldenen Riesenspargel für Operngesang in extremen Stellungen. Später mehr.
schmollfisch - 25. Jan, 00:56
Kürzlich hat sich der Fisch einen Krimi gekauft. Ja, echt! Das war ja noch nie da: der Fisch hat sich einen Krimi gekauft! Es war einer vom Wühltisch, spielte in Irland und wurde auf dem rückwärtigen Einbanddeckel als "literarisch anspruchsvoll" gepriesen. Anspruchsvoll war jedenfalls erst mal das Preisetikett auf der Rückseite. Da war zwar ein Strichcode, aber er war überklebt und rot angestrichen. Dass der Fisch irgendein Sonderangebot an Land gezogen hatte, wies schon der Remittendenstempel am unteren Rand klar aus, aber was der Krimi nun kosten sollte, stand nirgends. Der Scanner an der Kasse meldete ERROR und schwieg hinfort. Klar, hier war Detektivarbeit gefragt ... Die Kassiererin, eine ältliche Dame (ungefähr ebenso alt wie der Fisch) mit auf die Nasenspitze gerutschter Lesebrille, rief eine Kollegin herbei und beauftragte sie, auf dem Wühltisch nach einem zweiten Exemplar des Buches zu suchen, möglichst mit leserlichem Preis. Während die Kollegin sucht, lehnt der Fisch flossentrommelnd am Tresen und die Kassiererin besieht sich stirnrunzelnd die Inhaltsangabe auf dem hinteren Einbanddeckel, auf dem von einem tödlichen Verkehrsunfall in einem Provinznest, einem "abgehalfterten" Polizisten und korrupten Vorgesetzten die Rede ist. "Das wär auch mal ein Buch für mich", bemerkt die Kassiererin, "sowas mit Psychopathen lese ich auch gerne ..."
"Ach ja?", antwortet der Fisch höflich.
"Ich hatte neulich so ein Buch, auch vom Wühltisch", berichtet die Kassiererin, "da ging es um eine Frau, die lebendig begraben wurde ... sie war bewusstlos geschlagen worden und wachte im Sarg wieder auf ... der Täter war so ein Verrückter, der das mit Absicht machte ... wie hieß das Buch nur noch, warten Sie mal, wie hieß das noch ..."
Der Fisch grübelt und erinnert sich an zwei Filme, in denen es um lebendig eingesargte Menschen ging; der eine mit Kevin Beacon und Jeff Bridges, der andere mit Hannelore Hoger. Aber Bücher mit diesem Thema fallen ihm nicht ein, außer einer Geschichte von Edgar Allan Poe, die die Kassiererin mit Sicherheit nicht meint. "Warten Sie mal ...", die Kassiererin fasst sich an die Stirn, "das war ein Serienmörder, ich komme noch drauf, Moment ..." Mittlerweile stehen zwei weitere Kunden fingertrommelnd am Tresen, die rettende Kollegin mit der korrekten Preisangabe ist nicht in Sicht, der Fisch hat das Portemonnaie offen, aber keine Anweisung, wieviel er zahlen soll. "Warten Sie mal ... ich komm noch drauf ..."
"War es vielleicht dieses", nun kommt der Fisch selbst nicht drauf, "dieses Dingsbums, das von Lars Stiegson, dieses Millenniumdingsda, da wird eine Frau lebendig eingegraben ....", die Kassierin blickt interessiert; gibt es wirklich noch Menschen, die das Millenniumdingsda nicht kennen?? -, "aber die hatte einen Kopfschuss ... und hat sich selbst wieder befreit ..."
Aus den zwei fingertrommelnden Kunden sind inzwischen vier geworden. Der letzte macht den Hals lang und versucht den Titel des literarisch anspruchsvollen Krimis zu lesen, den der Schmollfisch kaufen will. Die Kollegin kommt nicht. Die Kassiererin dreht das Buch hin und her. "Nee, so was war es nicht, die lag im Sarg, und der Täter hatte extra ein Mikrophon eingebaut und ein Kabel rausgelegt, um ihre Schreie hören zu können ... echt total krank sowas ... aber ich hab es gerne gelesen ..."
Ein Blinken auf dem Bildschirm. "Ach, sehen Sie, nun hat der Scanner es doch gefressen. Drei fünfzig macht das."
Der Schmollfisch zahlt erleichtert und lässt sich das Buch eintüten. Im Weggehen ruft die Kassiererin noch hinter ihm her:
"Und das Tollste war - das Buch stammte von einer FRAU!!!"
schmollfisch - 20. Jan, 01:08
Schön, wie vieles da läuft im Blauen Salon!
Ich werde wieder dabei sein und freue mich schon - auf die erste Begegnung mit manchen Salonern und das Wiedersehen mit anderen.
Samstag, den 29.1. im Dunkelhof in Freiberg!
schmollfisch - 18. Jan, 11:51
In dem Dorf, in dem ich wohne, gibt es jeden Monat neue Straßensperren. Man baut ein Autobahnstück, das eine entscheidende Lücke schließen soll, und dadurch sollen nebenbei auch die Durchfahrtstraßen durch unser Dorf entlastet werden. Das Autobahnstück wird unterirdisch gebaut. Wie das funktioniert, habe ich nicht verstanden. Ich stelle mir dabei immer zwei Leute mit Bauhelmen und riesigen Drillbohrern vor, die sich durchs Erdreich arbeiten, der eine von Norden her, der andere von Süden, und wenn sie sich nur minimal verplant haben, bohren sie aneinander vorbei und wir haben hinterher zwei Autobahnen statt einer.
Die Baumaßnahmen und die vorhersehbare Verschandelung der Landschaft im Süden und Westen unseres Dorfes haben jedenfalls dazu geführt, dass der Wert der Baugrundstücke auf der anderen Dorfseite explosionsartig angestiegen ist. Einige ehemalige Bauern, die sich gerade erst den Mist von den Gummistiefeln gekratzt haben, sind über Nacht Millionäre geworden - zum Beispiel der Vater meines Freundes Ewald; deshalb hat Ewald auch so dick Kohle und die Ewaldine kann sich jede Woche drei neue Krimis leisten.
Ich bin ein armer Mann. Doch durch eine Fügung des Schicksals erbte ich (das ist eine lange Geschichte, ich lasse das hier besser weg) ein Fetzchen Land in eben jenem exklusiven Baugebiet. Toll. Das dicke Ende folgte: Eine gemeindliche Bauauflage sah vor, dass das Fetzchen gefälligst zu bebauen sei. Schnell. Am besten vorgestern.
Ein Dreivierteljahr hatte ich noch Zeit; nach Vorsprache bei der Bürgermeisterin, zwei Eingaben beim Wahlkreisabgeordneten und etlichen verzweifelten Posts auf abgeordnetenwatch.de habe ich eine Schonfrist von weiteren drei Monaten herausgeschlagen, bis dahin also sollten die Baupläne eingereicht und die Baugenehmigung beantragt sein. Ich brauche weder ein Haus, noch kenne ich irgendwelche Architekten oder Baudesigner oder überhaupt irgendjemanden, der mir hätte sagen können, was ich auf dem Fleckchen Land bauen soll, darf und kann; abgesehen von dem unbedeutenden Umstand, dass ich mir mit meinen Einkünften nicht mal eine Hundehütte bauen könnte. Ich verbrachte schlaflose Nächte. In einer solchen Nacht hatte ich gegen drei Uhr morgens schon achtundzwanzig Partien Spider-Solitär gespielt und gerade die zweite Flasche Rioja geöffnet, da loggte ich mich kurzerhand bei Facebook ein und legte einen Account an unter dem Namen „Bauwilli“. Nicht sehr originell, ich weiß. Der Name sollte signalisieren, dass ich bauwillig sei.
In den darauf folgenden Wochen habe ich mir oft zu dieser Idee gratuliert. Die Lösungsvorschläge strömten nur so herein. Die meisten scheiterten natürlich daran, dass das fragliche Grundstückchen nicht in einem Gewerbegebiet liegt. Ich konnte weder eine Schönheitsfarm für Schwule (echte Marktlücke!) noch eine Trommelschule eröffnen. Auch die Pension für traumatisierte Kleintiere (Parapluesch!) oder das Versuchanbaugebiet für Hybriden von Bananen und Pastinaken kamen nicht in Betracht. Die Bürgermeisterin zeigte sich jedoch insoweit kompromissbereit, als mir eine Kunstgalerie gestattet wurde; vorausgesetzt dass ich nur nachhaltige Kunstwerke ausstellte (das bedeutete, dass ich keinen Extraparkplatz brauchte, sondern nur ein paar Fahrradständer) und dass ich mich überhaupt auf höchstens zwei kleine Vernissagen jährlich beschränkte. Mir war das ganz recht. Ich wollte ja nichts Großes bauen; dafür hatte ich ohnehin nicht genug Kapital.
Bei der Überlegung, wie man eine kleine Kunstgalerie vorschriftsmäßig gestaltet, halfen mir wieder einmal Bauwillis viele Facebook-Freunde: Ich hatte, erfuhr ich, getrennte Toiletten mit Waschgelegenheit einzurichten; sonst gab es keine Vorgaben bis auf das bereits gelöste Parkplatzproblem. Also errichtete Bauwilli auf dem Sechshunder-Quadratmeter-Grundstückchen vorläufig eine Damen- und eine Herrentoilette; die Damenseite mit zwei Zellen und einem Waschbecken, die Herrenseite mit Waschbecken, einer Zelle und drei Urinalen (die gab es ab drei Stück mit Rabatt). An dem Tag, an dem ich die Baupläne für diese Bedürfnislokalität auf dem Bauamt zur Genehmigung einreichte, köpfte ich eine Flasche Schampus. Endlich war die Bauauflage erfüllt! Die Galerie selbst war noch nicht so genau geplant, das würde sich danach schon noch ergeben.
(Fortsetzung folgt)
schmollfisch - 17. Jan, 23:27
Ich habe Ewalds seit mehreren Wochen nicht gesehen; nicht etwa, weil sie in Urlaub gefahren wären oder dergleichen, sondern weil ihr Wohnsitz von derart hohen Schneewänden umgeben war, dass der Schornstein gerade noch herausschaute. Seit gestern jedoch herrscht Tauwetter, und Ewald hat sich folglich gestern mittag durch ein Dachfenster den Weg nach draußen freigekämpft und wenigstens den Platz vor seiner Garage soweit vom Schnee befreit, dass er spätnachmittags mit dem Schaufelbagger herausfahren konnte. Danach war es nur noch eine Sache von Minuten, das Gröbste wegzuschaffen. Er hat die Schneeberge aus dem Hof und von den Bürgersteigen herausgeschoben und, mangels anderer Ablageflächen, in meinem Hof abgeladen. Die Ewaldine ist gegen Abend mit den Langlaufskiern gekommen, um einen Glühwein mit mir zu trinken; drei Stunden später hat dann ein Bernhardiner mit einem Rumfässchen unter der Schnauze an der Tür geklingelt, um sie abzuholen. Ja, so war das.
Ich habe sie natürlich gefragt, was Ewalds am Silvesterabend so gemacht hätten. Und zu meinem großen Staunen hörte ich, dass sie "Wer bin ich?" gespielt haben. Dabei bekommt jeder einen Klebezettel an die Stirn geklebt, auf dem ein bekannter Name steht; man weiß aber nicht welcher. Das muss man erraten, indem man die anderen nach seinen Eigenschaften fragt. Ewald ist natürlich für solche Spiele überhaupt nicht geeignet; er fragte immer als erstes: "Bin ich ein Mann?" oder "Bin ich virtuell?" (Ich wüsste nicht, wie ich letztere Frage beantworten sollte, stünde Ewalds Name auf dem Zettel.) Die Ewaldine hat da schon mehr Phantasie bewiesen, indem sie sich mit Fragen wie "Habe ich ein Haustier?" und "Glaube ich an den Klimawandel?" an die zu erratende Persönlichkeit herantastete. Den spieletechnischen Vogel abgeschossen hat aber Ewald Schwiegermutter, die zu Besuch gekommen war (fragt mich nicht, wie sie ins Haus gekommen ist; wahrscheinlich im Nikolauskostüm durch den Schornstein). Sie fragte immer als erstes: "Bin ich dick?" und als zweites: "Will ich die Weltherrschaft?" Ich bin in Gedanken mal alle die bekannten Persönlichkeiten, die mir für so ein Spiel spontan in den Sinn kommen, durchgegangen - Papst Benedikt, Wolverine, Daniel Barenboim, Severus Snape, Christina Aguilera, Guido Westerwelle, Sherlock Holmes, Timothy F. Geithner, mein Metzger und so weiter. Tatsächlich kann man mit Hilfe der beiden zitierten Fragen einen großen Teil aller möglichen Kandidaten, die auf dem Klebezettel stehen könnten, schon ausschließen. Mit höchstens zwei weiteren Fragen wie: "Bin ich schwul?" und "Bin ich ein Fan von Paul Potts?" kann man auf beinahe Null eingrenzen; sind alle vier Fragen mit Nein beantwortet, bleibt eigentlich kaum noch jemand übrig, außer der Ewaldine vielleicht. Ich jedenfalls nicht. (Nein, ich scheide nicht bei der vierten Frage aus, sondern schon früher!)
Ja. Allen bekannten und unbekannten Lesern hier ein fröhliches, gesundes und pralles 2011. Ich muss jetzt aufhören, eben hat wieder der Bernhardiner an der Haustür geklingelt.
schmollfisch - 7. Jan, 01:25
Den „Schwedenkrimis“ (die auch aus Norwegen, Finnland oder gar Island stammen dürfen) wird eine Tendenz zur Sozialkritik und vertiefter Psychologisierung nachgesagt. Ich weiß nicht, ob Martin Beck und seine Kollegen als Urgestein des Schwedenkrimis bezeichnet werden können; die derzeitige Hype hat jedenfalls mit Wallander begonnen, und an Wallander zeigt sich exemplarisch, was den Schwedenkrimi ausmacht: leicht mürrische Skepsis gegenüber dem modernen Leben, überforderte Polizei, verzweifelte Ermittler und ebenso verzweifelte Täter (meistens). Ein fröhlicher Ermittler wie Hakan Nessers Gunnar Barbarotti hat die undankbare Rolle eines bloßen (etwas naiv wirkenden) Kommentators zu Nessers Romanplots. In einem der drei Bücher taucht er erst nach dem ersten Drittel auf, im aktuellen Roman „Das zweite Leben des Herrn Roos“ gar erst in der Mitte. Den Großteil aller drei Barbarotti-Romane nimmt das eigentliche Geschehen um „die Tat“ ein, von dem Barbarotti, soviel erschließt sich dem Leser jedenfalls, bloß die Oberfläche ankratzt. So weit, so schön. Klingt eigentlich reizvoll.
Trotzdem habe ich beim Lesen des „Herrn Roos“ mehrmals das Bedürfnis verspürt, mir zwischendurch Luft zu machen wegen des Ärgers, den dieses Buch in mir auslöst. Ante Valdemar Roos, ein Angestellter in den Sechzigern, gewinnt eine Riesensumme beim Fußballtoto und benutzt die Kohle, sich ein Häuschen im Wald zu kaufen, wo er sich vor seiner nervigen Familie zurückziehen kann. Ist ja sein gutes Recht. Das Grundproblem des Herrn Ante Valdemar Roos sei kurz mit einem längeren Zitat illustriert:
Nach dem samstäglichen Kaffee am Vormittag und nachdem er mehrere Male erklärt hatte, wie es ihm gelungen war, seine Brille in der Dusche zu zerbrechen, zerfiel der Tag in drei Teile.
Zuerst fuhren sie ins Coop-Kaufhaus nach Billundsberg und kauften Lebensnotwendiges für dreitausend Kronen ein. Das dauerte drei Stunden. Dann fuhren sie nach Hause und begannen, diese lebensnotwendigen Dinge auseinanderzurupfen und auf verschiedene Art und Weise anzurichten. Das dauerte ungefähr genauso lange.
Anschließend duschten sie und machten sich fertig. Das dauerte bei Valdemar eine Viertelstunde, anderthalb Stunden bei Alice. Valdemar schaffte noch ein zehnminütiges Nickerchen.
Um sieben Uhr klingelte es an der Tür. Alices alte Studienkollegen (…) waren gekommen.
Dann saß man zusammen und schaufelte all die zubereiteten Dinge – plus ein unterschiedlich ausfallendes Quantum an Wein und Schnaps – in sich hinein, das dauerte vier Stunden und fünfundvierzig Minuten.
Rest geschenkt. An anderer Stelle wird noch erwähnt, dass Ante Valdemar Roos seine gesellschaftlichen Pflichten dadurch aufzulockern pflegt, dass er sich während solcher Zusammenkünfte auf die Toilette verkriecht. Er bleibt einfach auf der Brille sitzen und döst so lange vor sich hin, wie mit Anstand machbar ist, ohne aufzufallen.
Als ich diese Passagen las (die zitierte Stelle ist nur ein Beispiel von vielen; das ganze erste Drittel des Buches beschäftigt sich nur damit, solcherart den Druck bildhaft zu machen, unter dem Herr Roos steht), glaubte ich, in einen Roman von Julian Symons geraten zu sein. Er hat Bücher geschrieben, die sich mit einer ähnlichen Personenkonstallation beschäftigen. Übermächtige Frau (Nesser schreibt einmal über Alice, dass sie ihre Fäuste beim Reden „in das stemmt, was einmal ihre Taille gewesen war“), kleiner und irgendwie grauer Mann, ein Übermaß an gesellschaftlichen und beruflichen Pflichten. Nur hat Symons seine Bücher in den Fünfzigern geschrieben. Da waren sie vermutlich interessant. Ich habe einige davon gelesen, als mich die Entwicklung des Kriminalromans im allgemeinen interessiert hat. Dass heute noch ein Krimiautor eine solche Konstellation zusammenstrickt, um das Handeln seiner Hauptperson zu motivieren, finde ich gelinde gesagt erstaunlich. Jedenfalls dann, wenn diese Hauptperson als Sympathiefigur aufgebaut wird.
Schon im zweiten Barbarotti-Roman "Eine ganz andere Geschichte" gibt es erst recht spät eine Gegenstimme – der Leser erfährt irgendwann im letzten Sechstel, dass es wirklich eine ganz andere Geschichte ist, die er liest (an diesem Punkt habe ich das Buch übrigens in die Ecke geschmissen und erst ein Vierteljahr später weitergelesen). In Herrn Roos’ zweitem Leben kommt die Gegenstimme zu spät und ist zu schwach, um meinen hoffnungslosen Ärger über diesen Komplettversager noch irgendwie mildern zu können. Er mag weder seine Frau, noch mag er die angeheirateten Töchter, noch die sogenannten Freunde der Familie, was natürlich auch sein gutes Recht ist, aber er macht obendrein auch noch Frau, Töchter und die ganze übrige Mischpoke für die Armseligkeit seines Lebens verantwortlich. Nein, das sagt er natürlich nicht ausdrücklich. Er sagt ja überhaupt so gut wie nie etwas ausdrücklich. Statt dessen kauft er sich ein schwarzes Notizbuch und nimmt sich vor, jeden Tag, den er in seinem Exil zubringt, einen Satz hineinzuschreiben, „einen richtig gehaltvollen Gedanken über das Leben und seine Bedingungen“. Da steht dann zum Beispiel drin: „Nur selten ahnt der Bauer beim Schach die Absichten seines Meisters“. Aha. Wäre ja eine nette Sache, mal einen Kriminalroman aus der Sicht eines Bauern beim Schach zu lesen. Schade nur, dass der Bauer bis zum Schluss nichts ahnt und die Ziellinie, auf der er Dame werden könnte, nicht mal von weitem zu sehen bekommt. Einmal zieht er ein Feld schräg und schlägt. Wie ein Bauer es halt macht. Wenn der Meister es will. Aber wer ist eigentlich sein Meister? Hakan Nesser jedenfalls nicht. Er lässt seinen Protagonisten buchstäblich ins Leere laufen.
Ich hoffe, Nessers nächste Hauptperson kriegt ein wenig mehr vor sich. Sonst war das mein letzter Barbarotti. (Obwohl ich beim Schwedenkrimi übrigens genau diejenigen Bücher bevorzuge, die die Amazon-Kritiker langweilig nennen …)
schmollfisch - 14. Dez, 23:16
Der Ohrenschützer hat sich meines schwatzenden Kaninchens angenommen. Das ist um so dankenswerter, als es mir nie gelungen ist, diesem Kaninchen meine Stimme zu leihen.
Ich habe ein einziges Mal versucht, diesen Text bei einer (halböffentlichen) Lesung vorzutragen, und war selbst von mir überrascht. Nicht dass ich in Tränen ausgebrochen wäre. Ich bin weder hysterisch noch sentimental. Nein, die Stimme schaltete sich einfach ab. Die zweite Hälfte des Textes habe ich stimmlos geflüstert, um irgendwie noch zum Ende zu kommen.
Dabei ist das ein Text, der gelesen gehört, und gehört gehört, wie der Ohrenschützer es so freundlich nennt.
Hier geht es zur Lesung:
Was das Kaninchen erzählt.
Nachlesen kann jeder den Text bei Tableau (siehe den Button am linken Rand) oder
hier auf meiner Referenzseite.
schmollfisch - 8. Dez, 00:21
Die Schreibspechte haben ihr zweites Buch fertig. Es ist auch schon
hier bei Amazon gelistet. Kann dort oder auch bei mir bestellt werden. (Ich habe es noch nicht hier, werde aber meinen Stapel noch diese Woche bekommen.)
Außer den schon in "Zu viel Bein" vertretenen Autoren haben wir ein paar Neue dazubekommen. Neun Autoren haben Texte beigesteuert - folglich ist das Buch umfangreicher als unser erstes.

schmollfisch - 6. Dez, 23:13