Mittäter-Drabble

„Was hältst du davon, wenn wir meine Entführung inszenieren?“, hat er gefragt. Er war mein Studienkollege, reich vom Hause aus, seine Eltern hielten ihn kurz. Ich war sowieso immer pleite. Wir machten einen Plan. Er entwarf Erpresserbriefe und schnitt die Buchstaben aus der Bildzeitung. Fünfhunderttausend Euro in einer neutralen Aktentasche im Papierkorb einer Autobahnraststätte. Um ungesehen zu bleiben, zog er sich in eine Hütte im Wald zurück. Ganz nach Plan riegelte ich ihn ein und schickte die Briefe ab.

Die Aktentasche benutze ich heute noch für meinen Laptop, wenn ich zur Börse gehe. Aber die Hütte habe ich nicht wiedergefunden.

Shardik

Was geschähe, wenn der Messias heute auf die Erde zurückkehrte? Uralte Frage, unzählige Male literarisch verarbeitet - und natürlich ist die Antwort immer von der Geschichte unserer Kirche beeinflusst, siehe Dostojewkis Großinquisitor-Legende. Aber es geht auch anders.

Man stelle sich einen Wald vor, an dessen Rand ein Volk von Jägern und Fischern haust, gerade kunstfertig genug, um Seile zu drehen, Boote zu bauen und mit Angeln oder Pfeil und Bogen Jagd zu machen. Einst hat dieses Volk weit im Süden eine blühende Stadt besessen, doch das ist lange her, und seit es daraus vertrieben wurde, ist es auf den Stand halber Barbarei zurückgesunken. Nun breitet sich nördlich des Flusses, an dem dieses Volk wohnt, ein Waldbrand aus, der neben einer Menge anderer Tiere einen gewaltigen Bären zum Fluss treibt, eine gut zweimal mannshohe Bestie, stark genug, um ein Haus zusammenzuschlagen. Und dieser Bär erscheint dem Volk als Retter, als Zeichen, dass es nunmehr dazu berufen ist, die Stadt zurückzuerobern.

Von außen betrachtet, ist es schwer nachvollziehbar, warum eine Horde von Menschen, die sich als Priester begreifen, das Objekt ihrer Verehrung kunstfertig betäuben (eine Priesterin wird dabei zerquetscht), in Ketten legen, in einen Käfig sperren und zweihundert Kilometer weit in eine Stadt zerren, um es dort in einer Festung unterzubringen und ihm zu huldigen. Der Mensch zahlt es seinem Gott heim. Aber warum eigentlich? Was geht in den Köpfen vor? Eine solche Geschichte irgendwie globalauktorial zu erzählen, wie ich es gerade tue, ist keine Kunst. Kunst ist hingegen, die Gedanken, Pläne und Ziele der beteiligten Menschen zu beschreiben, mit nicht mehr als einer Handvoll Einzelner im Fokus, an deren Beispiel alles durchexerziert wird, was in einem solchen Fall an bewussten und unbewussten Motiven mitspielt. Nichts geschieht zufällig; jeder Beteiligte wird mit all seinen Wünschen, Ängsten und Visionen vorgeführt: die Priesterin, der Heerführer, der plötzlich zur Autoritätsperson avancierte einfache Fischer, der den Bären zuerst gesehen hat, und nicht zuletzt die Profiteure, denen es völlig egal ist, wer gewinnt, wenn sie nur ihren Sack voll machen können. Wenn die Stadt erobert ist, der Bär in der Stadtfestung Wohnung genommen hat und der einstige Jäger und Fischer zum Priesterkönig aufgestiegen ist, ist der Kulminationspunkt erreicht. Aber, wir ahnen es schon, es ist noch nicht das Ende.

Nun folgt der Abstieg, und zwar ebenso akribisch und sorgfältig vorgeführt wie der Aufstieg der ersten Hälfte. Der Bär kommt infolge eines misslungenen Attentatsversuchs frei, verlässt die Stadt und strebt seiner Heimat zu, und der Priesterkönig, der einstige einfache Fischer, muss ihm folgen, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Der abgewickelte Faden der Geschichte wird quasi wieder aufgespult, aber unter sehr veränderten Vorzeichen. Der Priesterkönig findet nirgends Unterstützung, sieht sich vielmehr allein gelassen mit dem Bären, der infolge von Verwundung und Krankheit immer mehr verfällt. Kennt jemand die typische Kinoszene einer Auto-Verfolgungsjagd durch eine Großstadt? Links und rechts werden rücksichtslos Leute niedergemäht, andere Autos angefahren und schwere Unfälle ausgelöst; die Kamera kümmert sich nicht darum, sondern behält eisern die beiden Hauptbeteiligten im Fokus. Man stelle sich eine solche Verfolgungsjagd im Rückwärtsgang vor: die Verfolger müssen zu Fuß zurückwandern, sämtliche Trümmer auflesen und Verwundete bergen und pflegen. Genau das muss, symbolhaft, unser Priesterkönig tun. Er geht die komplette Spur seines Krieges ab und kommt am Schluss als völlig gebrochener Mann an das Westufer seines alten Heimatflusses, für ihn der Rand der bekannten Welt, denn diesen Fluss hat noch niemand, den er kennt, überschritten.

Ich erspare mir die letzte Konfrontation, den Gipfel des Elends, den Tod des Bären und die Katharsis der Hauptpersonen – ich will ja nicht das ganze Buch erzählen. Übrigens bekommt man es regulär nicht mehr, jedenfalls nicht in Deutsch. Meine Taschenbuchausgabe ist vor zehn Jahren auseinandergefallen und mit etwas Mühe konnte ich antiquarisch eine gebundene Ausgabe ergattern, die zu meinen Fixstartern für die Insel gehört; und das, obwohl ich außer „Der Herr der Ringe“ und „Gormenghast“ jede Fantasyliteratur in weitem Bogen umfahre. Der Autor unseres Bärenromans, Richard Adams, ist in den Siebzigern durch eine im besten Sinn anrührende Kaninchengeschichte weltberühmt geworden. Obwohl ich im allgemeinen Hasen vor Bären den Vorzug gebe, ist „Shardik“ meiner Meinung nach das bessere Buch als „Watership Down“. Nachdem ich dieses Buch seit 1980 zum dritten Mal gelesen habe, denke ich wieder mal darüber nach, warum eigentlich manche Bücher zu Bestsellern werden und andere, die ein Millionenpublikum verdient hätten, nach wenigen Jahren wieder in der Versenkung verschwinden. Falls einem meiner Leser auf irgendeinem Ramschtisch der Roman „Shardik“ in die Hände fällt, bitte zugreifen. Es ist eines der besten Bücher, die ich kenne. (Die Taschenbuchausgabe ist bemerkenswert dämlich illustriert, aber in gebundener Form macht das Buch ohnehin mehr Spaß).

Ach ja, ich wollte eigentlich den „Wüstenplanet“ lesen, da ich vor kurzem noch mal Gelegenheit hatte, mich über die unfreiwllige Komik der DiLaurentis-Verfilmung schlappzulachen. Nachdem ich immerhin 150 Seiten bewältigt hatte, ließ meine Energie erdrutschartig nach. Ich griff mir „Shardik“ und fraß die über 500 Seiten an einem einzigen Wochenende. Es wird nicht das letzte Mal sein.

Mülltrennung auf Italienisch

Eine besondere Art der Mülltrennung betreiben die EInwohner von Menaggio am Comer See: Bei ihnen bekommen gewisse Getränke wie die Pennerbombe, lauwarme Cervisia und dito Sangria einen extra Ausguss an der Straße. Hier der Beweis.



Und hier wie immer der Sonderservice für die Träger zweier Brillen übereinander:



In den "Promessi Sposi" hat davon noch nichts gestanden. Aber ich werde es sicherheitshalber noch einmal lesen. *macht sich einen Knoten in den Stiel des Weinglases*
Schön wars! Wir haben übrigens in Bellagio gewohnt.

Tableau 2 ist da!

"Der Säumer"

Hier geht's zum Download! Bitte auf das rechte Bild klicken. Das linke führt zum ersten Tableau "Die Phasendrescherin", das natürlich nach wie vor sehr lesenswert ist.
Nicht versäumen! Kostet nix und macht Laune!

Wenn ich ...

Wenn ich ein Roman wäre, kämen so viele verschiedene Leute mit schwer zu merkenden Namen in mir vor, dass niemand mich zu Ende läse. Selbst Leser, die eine Personenliste führen, kämen nicht mit mir zu Rand, weil meine Hauptfigur im ersten Drittel etwa Peinlich hieße, im zweiten Weinrich und im letzten Heimlich. Dafür wäre ich aber sehr dick, so dass mein Besitzer ein Loch in mich schneiden und seinen Likörvorrat darin verstecken könnte. Dann wäre ich trotzdem zu etwas nütze.

Wenn ich ein Geigenkasten wäre, enthielte ich keine Geige. Ich würde mein Leben lang darauf warten, dass jemand kommt und eine in mich hineinlegt. Es wäre vergebens. Vielleicht würde eines Tages ein Geigenbogen in mich gelegt, der aus Hochmut kein Wort mit mir spricht.

Wenn ich eine Brille wäre, würde ich nur abends getragen, in der letzten halben Stunde, bevor meine Besitzerin schlafen geht. Ich hätte nichts anderes anzugucken als den Computerbildschirm und die Weinflasche. Tagsüber, wenn meine Besitzerin spannende Krimis liest oder den Himmel betrachtet, wäre ich ins Etui verbannt. Ich wäre eine sehr frustrierte Brille und würde mir wünschen, dass meine Besitzerin eine Kontaktlinse verliert.

Wenn ich ein Gartenzaun wäre, würde ich das Atelier eines Bildhauers einzäunen, der monumentale Gipsmänner und –frauen fertigt. Ein Bildhauer, der alles, was ihm misslingt, durch das Fenster in den Garten wirft. Nackte Riesenfüße, Fäuste, Köpfe, gipserne Brüste. Einmal pro Woche käme der Inhaber des nächstgelegenen Gartencenters vorbei, würde über mich hinweglangen und all die gipsernen Körperteile auflesen, um sie in seinem Laden als Gartendeko zu verkaufen. Deshalb wäre ich ein sehr isolierter und in mich gekehrter Gartenzaun.

Wenn ich eine Mütze wäre, dann eine dickfellige Tschapka mit Ohrenklappen, die so warm ist, dass sie höchstens drei oder vier Tage im Jahr überhaupt getragen werden kann. Aber ich wäre eine schöne Mütze, und mein Besitzer würde sich über jeden polarkalten Tag freuen, um mich aufzusetzen. Vielleicht würde er januars in den Frostnächten am offenen Fenster sitzen, in eine Sofadecke gehüllt und mit mir auf dem Kopf. In jenen Morgenstunden, in denen der Frost hauchfein zu Boden rieselt und alles Gewachsene im Eis verstummt, würde er am Fenster sitzen, meine Klappen über seine blau gefrorenen Ohren ziehen und mir Kirschen erzählen bis in den Kern.

Die Füchsin

Sie steht in ihrem Ankleidezimmer, eine große, schöne Frau um die Fünfzig, die zu einem Fest eingeladen ist. Sie trifft ihre Vorbereitungen. Die Haare hat sie im Nacken zusammengesteckt, ein Band aus weißen Perlen umschließt den Haarknoten. Sorgfältig zieht sie die Träger ihres Abendkleides auf den Schultern zurecht. Sie setzt sich an den Schminktisch und malt ihr Gesicht; sie legt Lippenstift auf, pudert die Wangen rötlich und die Augenlider silbern. Mit sanfter Hand streichelt sie die Falten auf ihrer Stirn weg und lächelt ihrem Spiegelbild zu.
Dann nimmt sie von der Stuhllehne den Fuchs. Eigentlich ist es eine Füchsin, aber das weiß die Frau nicht. Leise summend legt sie sich den Pelz um die Schultern und besieht sich im Spiegel. Stolz dreht sie den Kopf hin und her.
Die Frau schreitet durch den festlichen Abend, in die Füchsin gehüllt. Sie redet und lacht, trinkt Champagner und fühlt bewundernde Blicke auf sich ruhen. Die Füchsin liegt still und duldsam auf den nackten Schultern.
Lange nach Mitternacht kehrt die Frau heim. Summend geht sie durch ihr stilles Haus und öffnet die Hintertür. Der Wald unweit des Hauses atmet ihr Kälte entgegen. Die Frau nimmt die Füchsin von ihren Schultern und entlässt sie in die Freiheit.
Im Morgengrauen schleicht die Füchsin über taufeuchte Wiesen heimwärts, steif und matt. Sie trägt das Gesicht der Frau, sorgfältig über ihr eigenes gezogen. Durch die leeren Augenhöhlen der Frau sucht sie ihren Weg in den Wald.
Viel später rollt die Sonne endlich über den Himmel und saugt die letzten Frühnebel aus den Wiesen. Die Luft ist klar. Im Wipfel eines Baums hängt das leere Gesicht der Frau, sich selbst überlassen. Unter der Erde schläft die Füchsin, tief verkrochen in ihrem Fell.

Wahn

Ich frage mich, warum, zum Teufel, es bestimmte Dinge einfach nicht gibt, und mag man sich auf den Kopf stellen. Es gibt die Tudor Roses von Alice Starmore nicht, außer von dreihundert Euro an aufwärts hin und wieder bei findmybook. Es gibt nicht, was leichter zu produzieren wäre, sollte man meinen, das One World Video (den musikalischen Kettenbrief, von Sting begonnen und unzähligen erstklassigen Musikern weitergeführt, dass es nur so kracht). Und es gibt nicht, wie ich gerade feststellen durfte, den Godunov-Film mit Ruggero Raimondi in der Titelrolle auf DVD. Außer in Mitschnitten bei jutjube, die sich durch grottenschlechte Bild- und Tonquaität auszeichnen. Die sehen wirklich aus, als hätte jemand das Handy vor den Fernsehbildschirm gehalten.

Warum ist es so wahnsinnig schwer, so was nachzuproduzieren? Ich frag halt nur, weil ich andererseits von wahllosem Schrott jeder Art überschwemmt werde, ohne das nur entfernt zu brauchen. Irgendwo muss da doch eine SCHNITTMENGE möglich sein.

Öhm. Hab gerade in die Tischkante gebissen.

Möbelhaus

Cora steht ratlos inmitten von eierschalen- und haferbreifarbenen Polstersofas, quittegelben Nierentischen und Ledersesseln, die aussehen, als seien sie aus Nashornhaut gemacht. Sie braucht gar keine Möbel; sie ist nur wegen eines Gutscheins über fünfzig Euro hier, der in ihrer Weihnachtspost war. Dass sie den Gutschein nicht loswird, ist ihr auf den ersten Blick klar: Was es hier zu kaufen gibt, würde sie nicht mal geschenkt haben wollen. Das einzig Interessante sind die Bücher. Auf allen Regalen stehen welche, meistens drei oder vier Exemplare derselben Ausgabe, damit es nicht zu unruhig aussieht, und links und rechts von tönernen Katzen oder Glasvasen flankiert. Cora kennt die Gattung „gemeine Möbelhausbücher“. Man kann sie nicht aufschlagen, da entweder die Seiten zusammenkleben oder das Buch gar keine Seiten hat, sondern einfach zusammengefaltet ist wie eine Pillenschachtel, ein Buch-Fake. Die Bücher, die hier stehen, sind hingegen echt. Sie sind so echt, dass Cora sich in einem der Nashornhautsessel niederlässt und zu blättern anfängt. Irgendwas kann mit diesen Büchern ja nicht stimmen, sonst stünden sie nicht in einem Möbelhaus.

.
.
.


Cora wieder aktiv ... und ihre Schöpferin freut sich dessen.

Habe ich schon erwähnt, dass die Lesung in Freiberg wunderschön war?
Ich danke allen, die dabei waren, es hat selten so viel Spaß gemacht wie dort!

Blubbern als Kunst!

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