Meine große Tochter sammelt Schwerter. Diese Schauschwerter, die man sich zu Dekorationszwecken an die Wand hängt. Die schönsten gibt es in Spanien. Die allerschönsten in Toledo. Ich vergesse nie, wie die freundliche spanische Verkäuferin uns ein Drei-Schwerter-Konvolut, gedacht für Samurai, präsentierte. Die drei Dinger - das untere war eigentlich mehr ein Dolch - hockten übereinander auf einem speziellen Ständer aus Kunststoff, der bestrebt war, wie Ebenholz auszusehen. Auf den unteren Dolch zeigend, bemerkte die Verkäuferin nebenbei: "That's für harakiri."
Logischerweise hat diese Nation, die Extraselbstmorddolche kreiert und Delfine jagt, auch das Haiku erfunden.
Meine Literaturwerkstatt wandert alle vier Wochen ins Grüne und dichtet. Wer im Grünen nicht dichten kann, trinkt ein Weizen und quakt mit dem Nachbarn. Aber für ein Haiku reicht es allemal. Die Haikudichter wandeln murmelnd an den Fingern zählend durch die Natur.
haikuklub trifft sich
alle zählen silben - ha
rakiri hernach
haikuklub wandert
heuallergien blühen - ha
tschi - weizen danach
... wobei der Krummdolch natürlich untergeht, aber es geht auch die Splatterversion:
haikuklub trifft sich
mitten ins herz - versagen
spritzt rot zum himmel
... aber das wird nun schon extrem abstrakt, und überhaupt sollten wir uns von der Silbenzählerei freimachen:
haikuklub trifft sich
schreinerlehrling fehlt daumen
nur vier silben
Na ja, ich mag eh keine Japaner. Bar aller politcal correctness. Und unter den drei Samuraischwertern in Toledo hing auch, für schlappe 249 Euro zu haben, das Original Stich von Bilbo. Das killt wenigstens keine Delfine. Hätte ich 249 Euro gehabt, hätte ich lieber dieses gehabt. Frodo hat sich schließlich auf der Queste um die Vernichtung des Rings auch einen Finger abbeißen lassen. Wie der Schreinerlehrling.
Und wieso soll ich sieben Silben zählen, wenn ich zehn Finger habe:
frodoklub trifft sich
deutsche finger zählen zehn
drum schreib ich zehn silben hin
(edit: haikuklub geändert in frodoklub)
... und da dies de facto nur sieben sind, habe ich ein echt hermetisches Gedicht kreiert. Na geht doch! Ich sollte mich damit vors Publikum setzen und mir die Stirn aufschneiden, oder einen Fuß wegfegen, oder mich erdolchen. Mit einem echt castilianischen Krummdolch aus Toledo, made in Hongkong.
Das sollte eigentlich ein Link zu einem Video mit Rainald Goetz werden.
Aber bis ich herausgefunden hatte, wie man diesen Link setzt, dauerte es eine schwache halbe Stunde, und inzwischen habe ich mir überlegt, dass der Herr nicht auch noch auf meiner Plattform herumsinnlosen muss. So gut ist der Gag auch wieder nicht.
Hingegen Neneh Cherry verdient für ihre Verbalrauferei jede Plattform, die sie kriegen kann. Schwing den Besen, Neneh!
ps. Mit der Bild- und Tonabgleichung liegt einiges im argen. Aber das hab doch hoffentlich nicht ich verbaselt ...
Was bringt das jetzt eigentlich, könnte man fragen. Gestern las ich eine Anleitung zum Spinnen mit Handspindel, was noch um einiges langsamer vor sich geht als am Spinnrad. Ja, was bringt das, warum spinnt sie mit Handspindel, wo es mit Spinnrad dreimal schneller geht? Oder kauft sich gleich fertiges Garn, das geht noch schneller? Oder wo wir schon mal dabei sind, warum kauft sie die Kleidung nicht fertig?
Ich habe seit ein paar Monaten ein Buch über Kumihimo hier liegen, über die Kunst des Kordelknüpfens also, besonders gepflegt in Japan, weil die sich dort ihre Kampfanzüge damit zubinden. Auch in diesem Buch wird die rhetorische Frage nach dem Wozu gestellt. Und wird beantwortet mit dem Hinweis auf Kordelknüpfer, die ihre Ergebnisse überhaupt nie zu irgendwas gebrauchen, sondern nur Proben knüpfen und in eine Schublade legen.
Wozu das?
Mir fällt in diesem Zusammenhang immer eine Passage aus "Ediths Tagebuch" von Patricia Highsmith ein - die Dame ist eine meiner großen Schreibvorbilder. Ihre stolze Hausfrau Edith schreibt in ihr Tagebuch: "Dahlien pflanzen, indem man sie wie Bomben fallen lässt."
Es gibt vielerlei Arten, etwas zu tun, und dort, wo ich tue und mache, sehe ich immer wieder Menschen, die ohne Blick auf ein Ergebnis tun. Die Schafe pflegen, füttern und scheren, obwohl es für die Wolle oft keine Abnehmer mehr gibt; die Vliese werden verschenkt oder vermüllt. Menschen, die komplizierte mittelalterliche Handwerksmethoden hochhalten (ich sah mal so einen Schmied in Meersburg - und merkte mir: KEINE Handschuhe! Die verführen bloß zum Leichtsinn!) oder sich mit der Ausbildung von Packziegen beschäftigen. Die Wolle mit Pflanzen färben oder ihre Socken in Nadelbindung herstellen, obwohl die teuflisch schwer zu fertigen und dann noch nicht mal bequem sind. Und trotzdem geht so viel verloren; neulich las ich in einem Handarbeitslexikon, dass viele Spitzentechniken aussterben, obwohl die Vorbilder aus alter Zeit in den Museen liegen - nur weiß niemand mehr, wie sie im einzelnen hergestellt wurden.
Also nee ...
Manchmal höre oder sehe ich was und denke, darüber muss ich schreiben. Dann höre ich wieder was und denke, ich muss unbedingt auch mal anfangen und Schreibaufgaben stellen.
Gerade kam ich in den Genuss eines Filmdialogs, den ich hier mal als Lückentext wiedergebe.
Spätabends. Mann und Frau vor dem Fernseher. Der Mann meckert über das miese Programm. Die Frau meint, das sei doch immer so.
Mann: "Ne kleine Nummer ist wohl nicht drin, oder?"
Frau: "Ich will erst noch (...)."
Mann (völlig verblüfft, da er offenbar ein kategorisches Nein erwartet hat): "Was, mitten in der Woche??"
Frau (ganz ruhig): "Sag' ich doch. Ich will nur erst noch (...)."
Mann (springt auf): "Ich putz mir schon mal die Zähne."
So, mögen bitte alle berufenen und unberufenen Autoren den Griffel spitzen und aus dem Ganzen eine Geschichte machen, inklusive Vervollständigung der Lücken im Dialog. (Diejenigen, die den Film auch gesehen haben, halten bitte den Schnawwel.)
"Wie geht es deinem Knie? Alles gut überstanden? Na prima. Ja, die sitzt grade draußen und sonnt sich ... ja, Moment, ich geb sie dir."
Der Telefonhörer wird mir hinausgereicht. Das Knie - das kann nur B. sein, die seit Monaten mit einem kaputten Knie kämpft. Meine alte Studifreundin. Die mit den feuerroten Haaren.
"Bist du's, Anna? Ja hallo. Du, wir sind gerade hier an der Eisdiele. Mit dem Motorrad. Sollen wir mal eben rumkommen? Nur ganz kurz?"
Nur ganz kurz. Ich erkläre den Weg, stehe dabei von der Gartenbank auf und schaue übers Geländer auf die Straße, als müsste sie in Sekundenschnelle dort auftauchen. Der Weg ist nicht kurz. Er war sogar sehr lang: Ich habe B. seit weit über zwanzig Jahren nicht gesehen. Wieviele es genau sind, weiß ich nicht. Mag auch gar nicht darüber nachdenken. Eher sind es wohl fünfundzwanzig.
Manchmal haben wir telefoniert, Karten geschrieben. Der Kontakt war dünn, riss aber nie ganz ab. Ein Treffen war immer mal geplant, kam aber nie zustande. Obwohl wir nur eine Stunde Fahrtzeit auseinander wohnen. "Eine Schande eigentlich", haben wir uns gegenseitig am Telefon versichert, meistens mit Lachen. "Wir müssen mal was ausmachen. Irgendwann, wenn mal wieder mehr Luft ist." Mehr Luft - es kam nie dazu. Jetzt ist sie unterwegs mit ihrem Motorrad, vermutlich biegt sie gerade in den Zollweg ein, fährt über die Brücke, wie ich es ihr erklärt habe. Ich stürze ins Haus, knalle das Telefon auf, renne hoch ins Bad, schaue in den Spiegel - jetzt hat sie wahrscheinlich gerade die Brücke überquert und ist auf der Ausfallstraße nach N. Die letzte Abbiegung links ist unsere. Sinnlos, sich jetzt noch aufzubrezeln. Ich werfe das alte T-Shirt in die Ecke, ziehe ein halbwegs vernünftiges aus dem Schrank, eines von der Sorte, die "die Figur locker umspielt" - sie muss ja nicht gleich sehen, dass ich zugenommen habe in den fünfundzwanzig Jahren. Wenigstens sind es nicht so viele Kilo wie Jahre. Höchstens fünf. Oder wie viel habe ich damals gewogen? Ich stehe vor dem Spiegel und versuche mich an mein Kampfgewicht zu Studizeiten zu erinnern. Was kann ich tun, damit sie mich erkennt nach der langen Zeit? Jetzt ist sie wahrscheinlich an der Ecke zur Waldschule hin und biegt in unsere Straße ein. Ich sehe aus wie Hund. Ich stecke mir noch rasch Perlmuttohrringe in die Ohren - Ohren verändern sich nicht. Vielleicht irgendwann später, wenn ich richtig alt bin. Aber einstweilen sind meine Ohren noch recht jugendlich.
Ich ziehe Schuhe an, werfe einen letzten Blick in den Spiegel. Ungeschönt, zerknittert, noch winterbleich an diesem ersten Sonnenfeiertag des Jahres. Was soll man da noch machen in den ein, zwei Minuten, die mir bleiben. Ich gebe auf. Gehe die Treppe runter, aus dem Haus und raus auf die Straße.
Da kommt es, ein Motorrad. Darauf zwei Leute in schwarzer Montur. Sicher fährt ihr Mann. Den kenne ich nicht. Übrigens hat sie schon den zweiten. Ich habe auch den ersten nicht gekannt.
Er verlangsamt das Tempo, als er mich sieht, wendet. Auf unserer Seite kann man nicht parken. Er stellt das Gefährt auf der gegenüberliegenden Straßenseite ab. Seine Beifahrerin steigt von ihrem Sitz. Sie hat eine Sonnenbrille unter dem Helm auf. Ich kann gar nichts erkennen, nur eine rote Strähne, die ihr in die Stirn gerutscht ist. Das muss sie sein.
"Anna!" Wir umarmen uns. Sie nimmt die Brille ab, steckt sie ein und fummelt am Kinnriemen des Helms.
Fünfundzwanzig Jahre. Wie wird sie aussehen? Wie ich? Ist sie alt geworden?
Sie zerrt an dem Helm. Zieht ihn ab. Schüttelt die Haare aus und lacht mich an.
Sie sieht aus wie immer.
Knut war mit weißen Pickeln übersät. Planlos trudelte er von einer Seite des Beckens zur anderen. Gudrun saß mit zerrauften Haaren und verzweifelter Miene vor dem Computer und irrte durch Aquarianer-Portale.
Robert war das egal. Mittags hatte ihm UPS endlich die neueste Erwerbung geliefert, den Turbo-Pediküre-Fräser, vor einer Woche bei Ebay ersteigert. Siegesgewiss stürmte Robert ins Wohnzimmer, riss das Einwickelpapier von dem Päckchen und die Socken von seinen Füßen. Die Handhabung war denkbar einfach. Wenige Minuten später sirrte bereits der Motor, 25 000 Umdrehungen pro Minute, stufenlos regelbar.
Gudrun hatte inzwischen den Upszusteller mit Beschlag belegt. Der Upser war ein breitschultriger junger Mann mit blonder Mähne und goldenen Ohrringen. Das Emblem eines Angelvereins auf seiner Schirmkappe wies ihn als Fischkenner aus. Gudrun packte ihn am Ellbogen und steuerte ihn vor das Aquarium. »Stell das doch endlich ab!«, fuhr sie zwischendurch Robert an, der mit der Grobfräse über seine Zehennägel fuhr.
Robert rutschte aus und bohrte die Spitze ins Nagelbett. »Au!!«
»Wenn ich nur wüsste, was Knut hat.« Gudrun wies auf den verpickelten Goldfisch.
»Mein Fuß, aua!« Die obere Hälfte des Nagels war abgerissen. Robert schmiss die Grobfräse in die Ecke. Mühsam erhob er sich, den großen Zeh abgespreizt.
»Der Knut sagt auch gar nix!« Gudruns Stimme schraubte sich zu dramatischer Höhe.
»Na toll!«, knurrte Robert, hinkte auf der Ferse hinaus und zog dabei eine Blutspur hinter sich her. Der abgerissene Nagel hing nur noch an einer Ecke fest. Ihn ganz abzurupfen, hätte Kafkas Strafkolonie in den Schatten gestellt. Robert nahm sich ein frisches Handtuch, machte es nass und wickelte es um den großen Zeh. Es schmerzte höllisch. Überall klebten rote Fingerabdrücke.
Aus dem Wohnzimmer war ein lautes Platschen zu hören und ein empörtes »Aäääääh!« des Paketzustellers.
»Entschuldigen Sie«, stotterte Gudrun. »Das macht er immer! Immer! IMMER!«
Das ideale Geschenk für meine jüngere Tochter, hat sich unsere ältere Tochter eingebildet, ist eine Kuckucksuhr, bei der zu jeder vollen Stunde kein Kuckuck, sondern ein Schäfchen aus dem Türchen kommt und "bäääh!" schreit.
Wie alles andere gibt es diese Uhr bei Ebay. Meine ältere Tochter bestellt die Uhr über meinen Account, einen eigenen hat sie nicht.
Die Uhr trifft pünktlich ein. Hübsch bunt aus Vollplastik. Batterien sind selbstverständlich nicht im Lieferumfang. Wir kratzen das Styropor ab und öffnen die rückwärtige Klappe. Klasse - da müssen vier Batterien rein. Drei dicke und eine dünne. Die dünne ist für das Uhrwerk. Die drei dicken für die Mechanik und die Beschallung. Das Bäh.
Batterien finden sich, wir klemmen sie an die vorgesehenen Steckplätze, hängen das Pendel unten an und stellen die Uhr auf. Pünktlich zur vollen Stunde öffnet sich das Türchen. Etwas kommt heraus und schreit "bäääh!" Ein kopfloses Horrormonster. Ehe wir richtig erkennen können, was es vorstellt, ist es auch schon wieder hinter der Tür verschwunden. Ist vermutlich besser so.
Die Tür ist doppelflügelig, aus grünem Plastik. Ohne die nächste volle Stunde abzuwarten, ziehen wir sie mit Gewalt auf. Ja, da steht so was wie ein Schaf - aber es hat keinen Kopf. Ich hole den kleinsten Schraubenzieher, den ich sonst für die Nähmaschine benutze, und schraube das Uhrgehäuse auf, in der Hoffnung, dass der Kopf lose drin herumkullert. Dann könnte man ihn vielleicht wieder feststecken, wie den Orkkopf in "Die zwei Türme". Leider sind wir weder in Rohan noch bei Frankensteins. Der Kopf ist nicht da. Was tun?
Ich schreibe der Verkäuferin eine Mail. Sie antwortet: "Vielleicht ist der Kopf in der Uhr? Das wäre aber traurig!"
Nein, der Kopf ist nicht in der Uhr, und sie soll bitte voranmachen und mir einen neuen Kopf schicken, antworte ich. Die Uhr ist für einen Geburtstag. Der Geburtstag ist morgen!
Kurz darauf Antwortmail: "Der Kopf ist unterwegs."
Klasse. Es vergehen vier Tage. Hoffentlich bringt der Postbote auch den richtigen Kopf. Es gibt die Uhr in drei Designs, wahlweise außer mit einem Schaf auch mit einer Kuh (die schreit dann nicht Bäh, sondern Muh) und mit Schweinchen (nöff nöff). Nicht auszudenken, wenn jetzt ein Schweinskopf anrollte, der "bäääh" schreit. Ich sehe meine Tochter schon auf Lebenszeit in der Geschlossenen, unrettbar traumatisiert.
Heute kommt ein Riesenpaket an. Nein, das kann nicht der Kopf sein, es sei denn, es gibt noch ein viertes Design. Vielleicht der Kopf von Dieter Bohlen oder Orlando Bloom? Nein, es ist eine komplett neue Uhr. Das heißt, die Uhr ist neu. Komplett ist sie nicht. Es fehlen das Pendel und der Sekundenzeiger. Egal, Hauptsache es ist ein Schaf mit Kopf drin! Wir stecken die Batterien rein, drehen behutsam die Zeiger auf die volle Stunde - die doppelflügelige grüne Tür bleibt zu! "Bääääh!", schreit es verzweifelt dahinter.
Wieder kommt der Schraubenzieher zum Einsatz. Vielleicht finden sich im Gehäuse doch noch das Pendel und der Sekundenzeiger? Vielleicht sogar ein überzähliger Kopf zu dem ersten Schaf? Hoffen kann man immer. Ja, da steht ein Schaf. Es hat auch einen Kopf. Es kann nur nicht durch die Tür. Die klemmt.
Ein leichter Druck von innen lässt sie aufspringen. Dass das Pendel fehlt, soll uns auch nicht kümmern - wir nehmen das von der anderen Uhr. Die steht jetzt übrigens bei mir im Hinterzimmer. Vielleicht hänge ich sie einfach auf, ohne Pendel und ohne Kopf. Oder ich suche mir einen passenden Kopf dazu. Leider sind die Köpfe, die ich gern dafür hernehmen würde, alle zu groß, um durch die doppelflügelige grüne Tür zu passen. Aber die könnte man ja eventuell ein bisschen größer sägen. Die Säge brauchen wir ohnehin.
Für den Kopf.