Zettelkasten

Ich habe so ein (natürlich virtuelles) Ding auf dem Rechner. Es heißt "Scribble Papers" und ist für schnelle Notizen zwischendurch gedacht.
Eben habe ich mal ein bisschen darin geblättert, auf der Suche nach einer Tiergeschichte.
Dabei fand ich diesen Eintrag:

-- Der Windgott kommt in den Wäldern Kanadas und im nördlichen Eismeer vor. Manchmal auch in Sibirien. Er hält sich am liebsten dort auf, wo niemand ihn sieht und von ihm Kunde geben könnte.
So weiß man, dass der Windgott in großen Höhen und sehr schnell fliegt, und wenn er einen Menschen entführt auf seinem rasenden Flug, dann verbrennen diesem Menschen wegen der Reibungshitze die Füße.
An einem kleinen Waldsee steht eine junge Frau, die ihren Hund ausführt. Es ist ein kleiner weißer Wuschelhund, sorgfältig getrimmt und frisiert. Der Hund hat die Vorderpfoten im Wasser und schaut mit trüben Augen auf die Wellenringe. Die Frau steht in der Nähe, die Hundeleine zusammengerollt in der Hand, die andere Hand in der Manteltasche. Sie befühlt ihr Handy, drückt müßig die Tasten in den Tiefen der Tasche. --

Und auf dem nächsten virtuellen Zettel steht:
pluto will asche sehen.
5.2.2006


Es stehen noch andere Sachen da, aber bei denen weiß ich, was sie bedeuten. Bei diesen beiden nicht.
Habe ich das geschrieben?
Warum?

Ein Mann, ein Fernseher, ein Kaninchen

Auf dem Sofa vor dem Fernseher sitzen ein Mann und ein Kaninchen.
Der Mann schaut einen Film an. Aus dem Fernseher donnert und schrillt es von Trommelwirbeln und Trompetengebrüll. Immer dann, wenn Maschinenpistolen rattern und Querschläger singen, zuckt der Mann zusammen.
Das Kaninchen macht sich nichts daraus. Seit der Mann es zu sich auf das Sofa geholt hat, um nicht so allein zu sein, sitzt es still und wippt mit der Nase.
Wenn sich auf dem Bildschirm zwei Leute küssen, kratzen Geigen dazu. Dann sackt der Mann geduldig in sich zusammen und greift sich ein Sofakissen, um es gegen seine Brust zu drücken. Das Kissen ist ungefähr doppelt so groß wie das Kaninchen.
Die schrillen Obertöne der Geigen gefallen dem Kaninchen nicht. Es mümmelt schneller und hebt ein Ohr in Richtung auf den Fernseher, bis die Leute mit ihrer Küsserei aufhören und wieder Autoreifen quietschen und Maschinenpistolen rattern. Dann legt das Kaninchen die Ohren wieder an und richtet den kastanienbraunen Blick in die nächste Woche. Der Mann aber wacht ruckartig auf und legt das Kissen weg, um gespannt auf den Bildschirm zu starren.

In dem Kasten unter dem Fernseher schnurrt mit rasender Geschwindigkeit eine DVD. In der Mikrowelle dreht sich ein Glasteller, auf dem ein Stück Pizza zum Aufbacken liegt. Der Wasserkocher in der Küche gurgelt vor sich hin. Der Kühlschrank summt. Draußen dreht sich der Mond in aller Ruhe um die Erde und verbirgt seine Rückseite wie immer. Ein sanfter Wind fächelt an den Hauswänden entlang und lässt welke Blätter wirbeln.
All das geschieht, solange die Nase des Kaninchens auf und nieder zuckt, auf und nieder. Manchmal, wenn sie für die Dauer einer Sekunde still steht, steht auch die Welt, und aus der Mündung des Maschinengewehrs kommt ein Zuckerwattewölkchen. Die Pizza in der Mikrowelle bläht sich und platzt, und alle welken Blätter der Herbstnacht kehren plötzlich an die Bäume zurück und hängen herab wie goldbraune Fächer.

Aber das geschieht nur, wenn das Kaninchen aufhört mit der Nase zu wippen. Das Nasenzucken des Kaninchens hält die Welt in Gang.

Man kann hirnen wie man will ...

... und findet trotzdem manchmal nicht die Worte, zu sagen, was zu sagen wäre, weil es die Worte nicht gibt. Da habe ich mir irgendwann eine Vorliebe für Geigenmusik angewöhnt, also Musik für Violine solo, aber bisher reicht mein Spektrum nicht über Paganini und ein klein wenig Bach (die berühmte e-moll-Partita) hinaus. Eigentlich genügt das auch. Wer sich intensiv mit so etwas befassen will, dem reichen ein, zwei CDs ein Jahr lang. Ich bin sogar ein Jahr lang mit einer Audiokassette ausgekommen. Die hat mir mein Schreibfreund Martin aufgenommen, und zwar von einer Schallplatte. Wer das nicht kennt: Schallplatten sind diese runden schwarzen Dinger, die immer kratzen. Auf der Kassette meines Schreibfreundes Martin kratzt es ganz gewaltig. Aber es wird Paganini gespielt, und wie! Abgesehen davon, dass der Interpret, ein Geiger mit dem schönen Namen Zsigmondy, beim Musizieren hörbar schwer atmet, ist diese Aufnahme einfach ein Knaller. Das fetzt. Kann durchaus sein, dass das Atmen mehr bereichert als stört.
So nach und nach erwärmte ich mich für Paganini und kaufte mir die eine oder andere Aufnahme auf CD. Zum Beispiel eine von einem Geiger namens Milenkovich, der auf dem Cover eine mafiöse Miene zeigt (zurückgekämmte schwarze Mähne) und Paganini glasklar und präzise hergeigt, als spiele er Bach. Man hört ihn auch nicht schnaufen. Er hat immer alles unter Kontrolle, bis in das letzte Vierundsechzigstel Flageolet. Man möchte weinen über die eigene Unfähigkeit, sich gewählt auszudrücken; Milenkovich verliert die Contenance nicht einen Sekundenbruchteil lang. Ich muss da immer an Christian Bale denken, den ich unlängst in "American Psycho" sah. Sicher macht Milenkovich jeden Morgen hundert Situps und frühstückt ungesalzenen Reis. Dass er nach Weglegen der Geige mit der Kettensäge rumrennt, will ich ihm nicht unterstellen. Seine Musik ist überirdisch. (Reizendes Kompliment.)
Nach zwei bis drei Jahren Milenkovich und andere habe ich mir so nach und nach überlegt, die 17 Euronen sollten doch mal langsam drin sein, dass ich mir eine CD von Zsigmondy kaufe - also dem schwer atmenden Herrn, mit dem mein Paganini anfing. Gesagt, getan. Seit zwei Wochen liegt die CD hier. Und ich stelle mit Entsetzen fest: Zsigmondy spielt FALSCH! Also nicht das, was man richtig falsch nennt. Bei Geigenmusik gibt es ohnehin nicht so ein richtig oder falsch wie bei Klaviermusik. Er spielt nicht richtig falsch, er spielt schräge, gleisnerisch, zigeunerhaft; er liegt so haarscharf daneben, dass es für eine Dauergänsehaut reicht, die so anstrengend ist wie ein multipler Orgasmus. Also ich weiß nicht, ob ich ihn besser finde als Milenkovich oder nicht. Nach einer Stunde Zsigmondy sehne ich mich nur noch nach glasklarer Härte, nach einer Stunde Milenkovich möchte ich bitte die multiple Gänsehaut zurück. Und zwischendurch fragt mein Mann, ob es nicht bald ein Ende hat mit all dem Gefiedel, das für jemanden, der nicht sehr genau hinhört, ohnehin alles gleich klingt.
Aber so leid es mir tut, wenn ich dann mit "Juli" oder was auch immer aufs MTV-Niveau geworfen werde, klingt alles gleich plump. Wem ich auch immer damit auf die Zehen trete. Tschuldigung.

Neues vom Hasen

Dies ist, mangels eigenem Output, eine Zeichnung meiner 17jährigen Tochter Yannika zu einer meiner Tiergeschichten. Es geht darin um einen Hasen, der sich vom beim Eieraustragen verdienten Geld für 125 Euro eine Fuchspelzjacke kauft.
Meiner Tochter illustriert nach und nach alle meine Tiergeschichten. Ein weiteres Beispiel gibt es auf meiner Referenzseite links unter "about" zu dem Text "Was das Kaninchen erzählt".
Also, nur zur Klarstellung, nicht alle meine Tiergeschichten handeln von Hasen. Nur so vier oder fünf davon.
Aber inzwischen sind es so viele, dass ich im September, wenn ich wieder mehr Zeit habe, ein schönes kleines Buch davon machen werde, und wenn es bloß in Spiralheftbindung ist. Mit allen Bildern von Yannika - die ich in ihrer liebevollen Detailsicherheit einfach hinreißend finde.
Vielleicht findet es ja den einen oder anderen Liebhaber, wenn ich es bei unseren Werkstattlesungen mit auslege.


© Yannika Schad

Der Schmollfisch schwimmt ...

... zur Zeit in Arbeit und kann daher kaum auftauchen.
Auch zur üblichen Schwimmrunde durch die Blogs bleibt leider kaum Zeit.
Sorry - aber aufgeschoben ist nicht weggeschwommen ...

Sich selbst erdolchen

Meine große Tochter sammelt Schwerter. Diese Schauschwerter, die man sich zu Dekorationszwecken an die Wand hängt. Die schönsten gibt es in Spanien. Die allerschönsten in Toledo. Ich vergesse nie, wie die freundliche spanische Verkäuferin uns ein Drei-Schwerter-Konvolut, gedacht für Samurai, präsentierte. Die drei Dinger - das untere war eigentlich mehr ein Dolch - hockten übereinander auf einem speziellen Ständer aus Kunststoff, der bestrebt war, wie Ebenholz auszusehen. Auf den unteren Dolch zeigend, bemerkte die Verkäuferin nebenbei: "That's für harakiri."
Logischerweise hat diese Nation, die Extraselbstmorddolche kreiert und Delfine jagt, auch das Haiku erfunden.
Meine Literaturwerkstatt wandert alle vier Wochen ins Grüne und dichtet. Wer im Grünen nicht dichten kann, trinkt ein Weizen und quakt mit dem Nachbarn. Aber für ein Haiku reicht es allemal. Die Haikudichter wandeln murmelnd an den Fingern zählend durch die Natur.

haikuklub trifft sich
alle zählen silben - ha
rakiri hernach

... oder auch, völkerverbindend:

haikuklub trifft sich
alle zählen silben - ha
raki rinnt hernach
(©SuMuze)

... oder auch:

haikuklub wandert
heuallergien blühen - ha
tschi - weizen danach

... wobei der Krummdolch natürlich untergeht, aber es geht auch die Splatterversion:

haikuklub trifft sich
mitten ins herz - versagen
spritzt rot zum himmel

... aber das wird nun schon extrem abstrakt, und überhaupt sollten wir uns von der Silbenzählerei freimachen:

haikuklub trifft sich
schreinerlehrling fehlt daumen
nur vier silben

Na ja, ich mag eh keine Japaner. Bar aller politcal correctness. Und unter den drei Samuraischwertern in Toledo hing auch, für schlappe 249 Euro zu haben, das Original Stich von Bilbo. Das killt wenigstens keine Delfine. Hätte ich 249 Euro gehabt, hätte ich lieber dieses gehabt. Frodo hat sich schließlich auf der Queste um die Vernichtung des Rings auch einen Finger abbeißen lassen. Wie der Schreinerlehrling.

Und wieso soll ich sieben Silben zählen, wenn ich zehn Finger habe:

frodoklub trifft sich
deutsche finger zählen zehn
drum schreib ich zehn silben hin
(edit: haikuklub geändert in frodoklub)

... und da dies de facto nur sieben sind, habe ich ein echt hermetisches Gedicht kreiert. Na geht doch! Ich sollte mich damit vors Publikum setzen und mir die Stirn aufschneiden, oder einen Fuß wegfegen, oder mich erdolchen. Mit einem echt castilianischen Krummdolch aus Toledo, made in Hongkong.

Konichiwa!

Hunde, beinahe wie Menschen

Elsa findet für den Hund ihres Nachbarn folgende starken Worte:
"... während diese bescheuerte, komplett idiotische Töle mit ihrem dreigestrichenen hohen C fünf Stunden am Stück einem das Gehirn aus dem Schädel fräst."

Es ist schon ein paar Jahre her, dass wir uns im Sommerurlaub zu einer Wanderung zum Pedraforca-Gipfel aufgemacht haben. Ausgangspunkt war ein Pyrenäendorf, dessen Namen ich vergessen habe, ist vermutlich auch besser so.
Wie es der Wanderführer empfahl, parkten wir auf dem Zentralparkplatz, schnallten uns die Gipfeltreter unter und stellten uns der Herausforderung. Schweigen wir auch darüber.
Stunden später jedenfalls kamen wir total verschwitzt und erledigt zurück - und brachten es fertig, auf der falschen Seite ins Dorf hineinzutappen. Nicht dort, wo die Blumenkästen stehen und die Kellner einem mit Granitzado und frischen Tapas in den Händen entgegenkommen, sondern dort, wo die Riesenscheuer steht. Und aus dieser Riesenscheuer schallt, während wir von hinten heranschleichen, ein gar gottsjämmerliches mindestens fünfstimmiges Heulen und Jaulen: Huuuu ... oooouuuuuu ... huhuoooouuuuuu ...
Was um Himmelswillen ist das? Eine Tierversuchsanstalt? Abdeckerei? Vivisektion?
Mit angehaltenem Atem lunzen wir um die Ecke - und haben eine Maschendrahtfront vor uns, auf deren Gegenseite uns mindestens fünf Bluthunde entgegenschießen. WUFF! WAUWAUWAU!!! WUFFWUFF!!! GRRRRRRRR ... Und wir geben Fersengeld, so schnell uns die Wanderstiefel tragen ...
Ich kenne Menschen, die genauso sind. Solange sie sich allein wähnen: Huuuu ... ooouuuuuu ... huhuooouuuuu ... Heulen und Zähneklappern. Aber sobald ihnen jemand in den Weg kommt, und sei es in der besten Absicht: WUFF! WAUWAUWAU!!! GRRRRRRRR ....
Es soll andererseits auch Leute geben, die es genau umgekehrt halten.
Zu diesen gehöre ich.
Meistens.

Projekt Besenkammer ...

wär's gewesen

was doch ein besen
alles kann
fremde katzen scheucht er
gerillte halbkreise zieht er
perfekt wie regenbogen im sand
nehm ich ihn quer
kann ich mit ihm hanteln
flotter partner ist er mir
beim quidditch
und will ich baden
trägt er mir wasser

doch seit gestern klemmt er
in der besenkammer
und brütet unheil
mit dem teppichkehrer

ich mach mich besser
aus dem staub


_________________________

... mehr hier:
Themenseite Besenkammer

Blubbern als Kunst!

blaue-flecken

Wort des Monats

"Es gibt in der geistigen Welt weitaus mehr Gnade, als sich der Mensch vorstellen kann."
(Meridian 2/2012)

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Geschlossen.
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